Camp auf dem Oranienplatz
21.09.2021 – Erinnerungsveranstaltung zum Camp auf dem Oranienplatz: Redebeitrag von Bruno
Ende Januar 2012 nahm sich Mohammad Rahsepar im Würzburger Flüchtlingslager das Leben. Er hatte schon im Dezember Suizidgedanken geäußert. Ärzte hatten deshalb den zuständigen Behörden empfohlen, seine Unterbringungssituation zu verbessern. Er wollte zu seiner Schwester nach Köln, aber die Behörden lehnten das wegen der Residenzpflicht ab. Das war der Auslöser für eine Welle von Protesten in ganz Deutschland.
Die Residenzpflicht gibt es in keinem anderen europäischen Land. Ihre Ursprünge gehen zurück bis in die Kolonialzeit. Zum Beispiel mussten Menschen in der damaligen deutschen Kolonie Togo in einem Bezirk bleiben. Selbst innerhalb der Haupstadt Lome, durfte man sich nicht frei bewegen. Meine Großmutter, die in Lome lebte, hat mir davon berichtet.
Die Nationalsozialisten haben die Residenzpflicht in ihrer Polizeiverordnung von 1938 für Zwangsarbeiter zum Gesetz gemacht. 1982 nahmen die Gesetzgeber die Regelung wieder auf und hielten sie im Asylverfahrensgesetz für Asylsuchende fest.
Bis Ende 2014 mussten sich alle Asylsuchenden jedesmal, wenn sie ihren Landkreis verlassen wollten, dafür eine Erlaubnis bei der Ausländerbehörde holen. Manchmal bekamen sie eine Erlaubnis, meistens nicht.
Ende der 90er Jahre haben die Behörden die Residenpflicht benutzt, um Asylsuchende daran zu hindern, sich politisch zu engagieren. Bei jeder Demo, jedem Kongress und jedem Treffen mussten wir einen Umgang mit Kontrollen finden.
Ende 2014 wurde die Residenzpflicht für einen Teil der Asylsuchenden gelockert. Sie dürfen sich jetzt nach den ersten drei Monaten in Deutschland im ganzen Bundesgebiet erlaubnisfrei bewegen. Theoretisch jedenfalls. Denn es gibt zahlreiche Ausschlussgründe von dieser angeblichen „Bewegungsfreiheit“. Vor allem Flüchtlinge mit Duldung sind wie bisher der Behördenwillkür ausgeliefert. Die Ausländerbehörden können sie jederzeit an den Landkreis fesseln.
Das Asylsystem schiebt uns in Schubladen: Asylberechtigte, Anerkannte nach der Genfer Flüchtlingskonvention, subsidiär Geschützte, Geduldete und „Ausreisepflichtige“… Mit jeder Schublade sind bestimmte Rechte oder Einschränkungen von Rechten verbunden.
Auch das hat seine Wurzeln in der Kolonialzeit: Die Vorstellung, dass Menschenrechte nicht für alle gelten.
Noch etwas hat seine Wurzeln in der Kolonialzeit: Es ist auch die deutsche Wirtschaft, die durch Ausbeutung anderer Länder Fluchtursachen schafft.
Zum Beispiel Afrika, einer der reichsten Kontinenten der Welt, wird seit der Kolonialzeit gefesselt, geplündert und in seiner Entwicklung gehindert.
Und Deutschland schafft mit der Politik der EU Fluchtursachen durch die Kooperation mit vielen Diktaturen der Welt. Mit vielen Folterstaaten arbeitet die EU in sogenannten „Grenzschutzprojekten“ zusammen. Menschenrechtsverletzungen und Folter in diesen Staaten sind den Regierenden Europas egal.
Und mit deutschen Waffen werden Kriege in der ganzen Welt geführt und die deutsche Wirtschaft profitiert davon.
Vor diesem Hintergrund haben wir Flüchtlinge und unsere Familien alle ein Recht auf Bewegungsfreiheit und ein Leben in Deutschland! Denn es kann in Deutschland keine fairen Asylverfahren geben.
Faire Asylverfahren das wären ein Verfahren, in dem eine deutsche Behörde beweisen muss, dass Deutschland keine Mitverantwortung für unsere Fluchtgründe hat und nicht Nutznießer der Situation ist, aus der wir geflohen sind.
Deshalb:
Kein Mensch ist illegal! Bleiberecht überall!
Fredom of movement is everybodys right! We are here and we will fight!